Ein sonniger Dienstagnachmittag Mitte Januar im Alp Betagtenzentrum. Im Saal der Abteilung Ost scheinen Sonnenstrahlen durch die Fensterfront auf den langen anthrazitfarbenen Tisch und tauchen den stillen Essbereich in eine freundliche Atmosphäre. Es ist ruhig jetzt, kurz nach dem Mittag.
Bald schon beginnt aber das nachmittägliche Treiben. Herr Paganal kommt durch die Glastür, gefolgt von Frau Hauser*, die einen Herrn im Rollstuhl durch die Tischreihen an die gedeckte Tafel schiebt. Fröhlich begrüssen sich die Betagten. Peu à peu folgen acht weitere Gäste. Danielle Berchtold, Fachfrau Aktivierung und Alltagsgestaltung bei der BZE AG, erwartet die Gesellschaft bereits zum «Kafi-Kränzli», das sie wöchentlich abwechselnd auf den Abteilungen ausrichtet.
Beisammensein, schwatzen, «käfele»
Nur das fortgeschrittene Alter und die teilweise Gebrechlichkeit der Gäste deutet darauf hin, dass man in einer Alterseinrichtung zu Besuch ist. Sonst scheint es mehr ein Zusammenkommen alter Bekannter, die sich zu ihrem regemässigen Kaffee-Kränzchen in ihrem Stammlokal treffen.
Frau Hauser ist topfit und waltet daher regelmässig als rechte Hand der Veranstalterin, Danielle Berchtold. Routiniert fragt sie alle nach ihren Getränkewünschen. Der designierte Sprücheklopfer heute am Tisch heisst Herr Paganal. Schelmisch plädiert er für einen Schuss Kirsch im Kaffee. Frau Hauser winkt lachend ab und schreitet zur Tat in die Küche, wo sie den verschiedenen Kaffee-Wünschen selbstbestimmt nachkommt. Derweil unterhalten sich die anwesenden Bewohnerinnen und Bewohner. Frau Jost schneit spontan vor ihrem Coiffeur-Termin in Begleitung einer Pflegemitarbeitenden herein. Die gepflegte Seniorin mit leuchtendgrünem Feinstrickoberteil, rot lackierten Fingernägeln und elegant assortiertem Schmuck ist zum ersten Mal hier, wie es scheint. Sie habe den Aushang gar nicht gesehen, meint sie lachend. Umso schöner, dass sie nun auch mit dabei ist.
Achtsame Materialauswahl
Der Kaffee wird in eigens für das «Kafi-Kränzli» angeschafftem Porzellangeschirr mit Blumenmuster serviert. Aus der gleichen Linie reicht Danielle Berchtold jedem Gast ein passendes Tellerchen. Dazu werden hochwertige Servietten verteilt, denen sogar die Herren am Tisch mit verbaler Wertschätzung begegnen. Sonst gibt es immer selbstgebackenen Kuchen, heute ausnahmsweise Guetzli, Beeren-Muffins und Amaretti aus der Alp-Küche. Das Zucker-«Zängli» ist Danielle Berchtolds besonderer Stolz, funktioniert dieses doch wie ein Greifkran mit drei Zinken und nicht wie eine Pinzette. «Zucker-Zängli in dieser Art gibt es heute kaum noch, es war gar nicht einfach, so eines zu finden», betont die Aktivierungsfachfrau. Es ist ihr wichtig, historisch akkurate Gegenstände am «Kafi-Kränzli» zu verwenden. «Das hat auch mit Biografie-Arbeit zu tun, die sich dank solcher Elemente ganz natürlich ergibt», so Berchtold. Überhaupt ist der ganze Tisch mit mehr oder weniger «historischen» Küchenutensilien dekoriert. Da stehen alte Kartoffelstampfer und Bücher zur Haushaltsführung, die einladen, in vergangene Zeiten einzutauchen.
Über Requisiten zur eigenen Vergangenheit
Danielle Berchtold nimmt den Faden auf und beginnt über das Kochen zu sprechen. Sogleich stimmen die Betagten mit ein. Während Frau Hauser eher nicht kochen musste als Kind und Jugendliche, da ihr «Mueti» immer zu Hause war, gab es für andere ein Haushaltlehrjahr. Schnell wird klar, die meisten hatten es nicht einfach in ihrer Jugend. Die Geschichten sind geprägt von früher Halbwaisenschaft, Kinderreichtum und finanziellen Entbehrungen. Eine Zeitzeugenschaft, deren Details man heute nur noch erahnen kann. Spannend aber: Keiner der Gäste bringt Verdrossenheit mit in die Runde. Vielmehr scheint man mit schwierigen Lebensabschnitten den Frieden geschlossen zu haben. Oder man weiss einen heiteren Spruch zum Thema. Herr Paganal rühmt sich, dass er doch immerhin wusste, wie man am Herd den Knopf dreht. Das hat gereicht, hatte er doch eine gute Köchin zu Hause. Die Anwesenden geniessen die gegenseitige Aufmerksamkeit und die der Angebotsleiterin sichtlich. Die Atmosphäre ist entspannt und ausgelassen, die einen sind gesprächig, die anderen einfach mit dabei. Frau Jost hat «Gluscht» nach noch zwei Amaretti. Sie verrät, dass dies ihr Lieblingsgebäck ist. Sie hat immer 15 Sorten Guetzli gebacken zu Weihnachten; Amaretti waren ihr besonderer Stolz. Ihre bestrich sie unten noch mit Schokolade und genoss sie, wenn sie innen noch ganz weich waren.
Themengeschichte von der Schürze
Danielle Berchtold plant für das «Kafi-Kränzli» jeweils ein Thema. Diesmal zückt sie eine Schürze – so wie man sie früher trug: Sie hat hellere und dunklere Streifen und blaue Blümchen drauf; eine Schürze ihrer eigenen Mutter. Die Aktivierungsfachfrau liest eine kurze Geschichte von der Schürze und deren Funktion vor. Ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, das einige Erinnerungen zu wecken vermag bei den Anwesenden. Von der Wortbedeutung (vom ärmellosen Kittel bis zur Schürze mit der Schnur am Rücken) und der Dialektbesonderheiten (von Schürze über Schübe zur Scheibe) bis hin zur Funktionalität (Kleiderschutz, Topflappen, Eiertrage oder Kindertränentrockner) überschlagen sich die Kommentare zum Gebrauchstextil der Vergangenheit.
Biografie-Arbeit in der Langzeitpflege
Die Biografie von Bewohnerinnen und Bewohnern zu kennen und zu dokumentieren gehört in der Langzeitpflege dazu. Die Biografie-Arbeit ist ein massgeblicher Teil des Beziehungsaufbaus und von grosser Bedeutung für die Lebensqualität in der Institution. Auch die Aktivierung und Alltagsgestaltung trägt dazu bei. Das «Kafi-Kränzli» beispielsweise fördert die Biografie-Arbeit im Gespräch. Danielle Berchtold fasst es so zusammen: «Mit dem Gespräch über die eigene Geschichte kann ich der Bewohnerin, dem Bewohner zeigen, dass sie/er immer noch jemand ist. Es geht viel um Identität und dient als Stütze für die/den Erzählenden aber auch für mich. Biografie-Arbeit ist wie eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart.» Danielle Berchtold will mit ihrem Angebot auch die Beziehung unter den Bewohnerinnen und Bewohnern stärken, damit sie sich auch ausserhalb des Angebots Begleitung, Stütze und Geselligkeit sein können. Dafür schafft sie mit dem «Kafi-Kränzli» eine Grundlage.
Bis zum nächsten Mal
Das «Kafi-Kränzli» geht langsam zu Ende. Nun geht es ans gemeinsame Ab- und Aufräumen, bei dem Frau Hauser wieder tatkräftig mitwirkt. Frau Jost schaut auf die Uhr, der Frisörtermin ist fällig. Die Herren machen sich langsam in ihre Zimmer auf, nachdem sie sich gebührend verabschiedet und bedankt haben. Nur Frau O.** bleibt noch einen Moment sitzen; befühlt die Schürze, faltet sie und driftet ganz privat inmitten des Gewusels in ihre Vergangenheit ab. Was in ihr wohl vorgeht? Zu fragil der Moment, um die alte Dame darin zu stören. Welch ein Schatz in einem langen Leben liegt.
*Name auf Wunsch der Bewohnerin geändert.
**Name auf Wunsch der Bewohnerin gekürzt.
Kafi-Kränzli: wann und wo
Alp Betagtenzentrum: wöchentliches Angebot, jeweils Dienstagnachmittag, wechselnd auf Abteilung, Informationen an Stelen beim Speisesaal.
Emmenfeld Betagtenzentrum: im Aufbau, findet auf Ankündigung statt.
Anmeldung: keine Anmeldung nötig (Angehörige und Besuchende sind willkommen)
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