Trainieren, erhalten und loslassen - ein Besuch im Denk-Treff
Montag, kurz vor 10 Uhr im Emmenfeld Betagtenzentrum und kurz nach 15 Uhr im Alp Betagtenzentrum. In den Räumlichkeiten der Aktivierung und Alltagsgestaltung der beiden Standorte der Betagtenzentren Emmen AG (BZE AG) durfte ich mich einfinden, um dem Denk-Treff beizuwohnen.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen selbstständig alleine oder zu zweit, andere werden von einer Pflege-Mitarbeiterin begleitet. Man begrüsst sich untereinander – Vertrautheit und gute Stimmung liegt in der Luft – man scheint sich hier wohl und bestens aufgehoben zu fühlen. Brigitte Lütolf, dipl. Fachfrau Aktivierung und Alltagsgestaltung trifft die letzten Vorbereitungen für die Denk-Treff-Stunde.
Training der Merkfähigkeit
Das Denk-Treff beginnt mit dem Herumreichen eines Kartendecks. Routiniert zieht jede Bewohnerin, jeder Bewohner eine Karte, deren Inhalt sie sich bis zum Schluss der Stunde zu merken versuchen. Herr Hauenstein zieht im Emmenfeld den Spruch: Ich mache mich auf den Weg zum Glück. Frau Rudolf* trifft es in der Alp wortakrobatisch: Ich falle aus der Rolle, um nicht in die Falle zu rollen. Ich bin mehr als überrascht, als am Schluss der Stunde - bis auf ein paar Ausnahmen - alle ihren Spruch noch wussten, sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer z.T. doch weit über das achtzigste Lebensjahr hinaus.
Hausaufgaben mit Witz
Anschliessend geht es über zur Hausaufgabenkontrolle. In der Alp-Gruppe witzeln Frau Meyer* und Frau Baumann*. Frau Meyer zündet Frau Baumann an: «Häsch alles gmacht?» - Frau Baumann kontert: «Ich ha chli gmoglet und Züg ufgschribe, wo a de Haar herbizoge isch…» Die Aufgabe war, zu jedem Buchstaben des Alphabets ein passendes Wort zum Thema Erdbeeren zu notieren. Von Aroma, Frappe über Likör zu Marmelade und Obstsalat, pflücken bis Qualität, Übelkeit und Wettessen kommen sie mit zuckersüss am Ende an und müssen oft schmunzeln über kreative Wortschöpfungen und Assoziationen.
Brigitte Lütolf leitet das Denk-Treff im Alp und Emmenfeld Betagtenzentrum. Sie vermittelt gerne Wissen, schätzt die betagten Menschen mit ihren Geschichten und ist dankbar für diese sinnstiftende Tätigkeit bei der BZE AG. «Es ist immer sehr viel Freude, Engagement und Ehrgeiz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu spüren.»
Räumliches Vorstellen und seriöse Mathematik
Im Emmenfeld Betagtenzentrum folgt auf die Sprachaufgabe eine Übung für das Vorstellungsvermögen. Brigitte Lütolf verteilt jedem ein Tangram, wobei die roten Dreiecke, Rhomben und Quadrate zuerst zu einer stilisierten Katze gelegt werden, dann zu einem Herzen. Gar keine so leichte Aufgabe, die manche ohne Weiteres, andere mit etwas Hilfe meistern. Im Alp Betagtenzentrum wird es indes mathematisch. Jeder erhält einen kleinen Kartenstapel. Auf der einen Seite befinden sich Zahlwörter zwischen 1 und 100, auf der anderen die entsprechende Ziffer. Zuerst wird der Grösse nach geordnet und dann gerechnet – und zwar mit den Zahlwörtern, was zu den mathematischen Fähigkeiten auch die Lesefähigkeit aktiviert und damit um ein Vielfaches anspruchsvoller ist. Welche Zahlen sind durch 3 teilbar, durch 5, 9 oder 6? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind sich einig, «mit Zahlen zu rechnen ist man sich gewohnt, mit Wörtern nicht», so Frau Baumann. Daher wird es auch gleich etwas leichter nach dem Wechsel auf die Ziffern.
Lernen im Alter: ressourcenorientiert und familiär
In beiden Gruppen ist man ganz bei der Sache; konzentriert und mit viel Motivation stellen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Aufgaben. Um einen Tisch herum in einer überschaubaren Gruppe ergibt sich auch die nötige Familiarität, um sich den eigenen Schwächen stellen zu dürfen. «Manchmal ist es halt gleich wieder verflogen», sagt Frau Meyer im Alp Betagtenzentrum achselzuckend. Herr Hauenstein kommt seiner Tischnachbarin im Emmenfeld Betagtenzentrum unbefangen zur Hilfe, als diese mit dem Legen der Tangram-Katze Mühe hat. Diese Haltung wird dabei von Brigitte Lütolf entscheidend geprägt. Pragmatisch und freundlich wird gemacht, was innerhalb der Ressourcen jeder/jedes einzelnen möglich ist, die Stärken und Schwächen liegen schliesslich auch in jüngeren Jahren nicht bei allen gleich. Ich folgere, dass sich aufgrund dieser wohlwollenden Haltung die Teilnehmenden auch so unbefangen, offen und schlussendlich verletzbar zeigen können.
Nachlassende Fähigkeiten verarbeiten
Am Schluss der Stunde beschäftigt Frau Rudolf im Alp Betagtenzentrum dann doch noch, dass das 1x1 nicht mehr so sitzt, obwohl sie es früher doch besonders gut konnte. Die Aktivierungsfachfrau holt die betagte Dame empathisch ab. Sie ist sich im Klaren darüber, dass Ressourcen nachlassen im Alter und dies nicht einfach zu akzeptieren ist. Frau Ineichen vermag es im Emmenfeld Betagtenzentrum, das zugrundeliegende Spannungsfeld in wenigen Sätzen aufzutun. So fasst sie die beiden Hauptthemen des Alters zusammen. «Ich möchte kognitiv erhalten, was ich kann, um möglichst dabei zu bleiben; gleichzeitig macht man den Prozess zum Ende zu. Auch wenn es das Natürlichste der Welt ist, ist es gar nicht so leicht das zu vereinbaren.»
*Die Namen wurden auf Wunsch der Bewohnerinnen geändert.
Das Denk-Treff findet wöchentlich am Montag im Alp und im Emmenfeld Betagtenzentrum in einer geschlossenen, fixen Gruppenzusammenstellung (nach Anmeldung) statt. Das Aktivierungsangebot hat das Ziel, die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu verbessern sowie assoziatives Denken, Kurz- und Langzeitgedächtnis, Sprachvermögen, Logik, Kreativität und Fantasie zu fördern. Insgesamt leistet das Angebot einen Beitrag zum Erhalt der kognitiven Fähigkeiten im Alter. Geführt wird das Aktivierungsangebot von einer Dipl. Fachfrau Aktivierung und Alltagsgestaltung der BZE AG.