Von gesellschaftlichen Zwängen und alternativer Normalität

Seit Januar 2022 ist die Demenzwohngruppe im Alp Betagtenzentrum der Betagtenzentren Emmen AG (BZE AG) in Betrieb. Damit verfügen nun beide Standorte Alp und Emmenfeld über eine Wohnform für Menschen mit einer demenziellen Entwicklung. Die zusätzlichen 18 Betreuungsplätze in der Gemeinde Emmen beantworten eine Angebotsnachfrage, die sich in den kommenden Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung noch steigern wird. Gleichzeitig halten sich starre gesellschaftliche Zwänge, die das Leben mit einem/r demenzbetroffenen Partner/in bis zur eigenen Erschöpfung vermeintlich erzwingen. So einiges muss sich in den nächsten Jahren noch bewegen, um das Leben mit und rund um Demenz zu enttabuisieren und dem Spannungsfeld im persönlichen Leben die Dramatik zu entziehen. 

Im Gespräch mit Jasna Petrovic, Leitung Team Wohngruppe Alp Betagtenzentrum, gehen wir der Thematik auf den Grund und gewinnen Einblicke in ein Leben, das – vielleicht abseits der Norm – aber dennoch ganz normal ist.

Seit rund neun Monaten ist die Wohngruppe im Alp Betagtenzentrum in Betrieb. Wie war der Start?

Petrovic: Wir sind mit acht von ursprünglich 16 Plätzen der damaligen Pflegeabteilung gestartet. Im Dezember 2021 hatten wir sanfte Renovationsarbeiten vorgenommen, um das Setting passend zu gestalten. So verlegten wir einen neuen Bodenbelag und strichen die Wände in ruhigen Pastelltönen. Die neuen Leuchten schaffen eine helle, freundliche Umgebung. Antikes Mobiliar ergänzt moderne Elemente, was in Kombination für ein einladendes, familiäres Ambiente sorgt. 
Der Zugang zum Demenzgarten bietet den Bewohnerinnen und Bewohnern zudem die Freiheit, ohne Verirrungsgefahr nach draussen zu gehen.

Schon in den ersten Wochen 2022 konnten wir erste Bewohnerinnen und Bewohner in ihrem neuen Zuhause begrüssen, was uns sehr gefreut hat. Momentan sind noch ein paar wenige Plätze verfügbar.

«Wir vermitteln ihnen das Gefühl, dass sie «richtig» sind, so wie sie sind.»
Jasna Petrovic, Leitung Team Wohngruppe, Alp Betagtenzentrum

Warum wurde eine Wohnform spezifisch für Demenbetroffene im Alp Betagtenzentrum eingeführt?

Petrovic: Im Emmenfeld Betagtenzentrum besteht seit Einzug in den Neubau 2015 eine Demenzwohngruppe, die praktisch durchgehend voll belegt ist. Das Angebot im Alp Betagtenzentrum wurde erweitert, um einerseits für Bewohnerinnen und Bewohner, für die das Leben auf der normalen Pflegabteilung nicht mehr bedürfnisgerecht ist, eine passende Lösung anzubieten; andererseits auch, um für externe Anfragen aus dem Gemeindeteil Emmenbrücke eine Wohnform anzubieten. Es darf nicht unterschätzt werden, dass für einen 80-jährigen Ehepartner der Weg aus dem Alp-Quartier ins Emmenfeld durchaus beschwerlich sein kann.

Bei den wenigen Demenzbetreuungsplätzen in der Gemeinde darf man wohl davon ausgehen, dass die meisten Demenzbetroffenen im häuslichen Setting betreut werden. Was sind Ihre Erfahrungen diesbezüglich?

Petrovic: Ja, dies ist oft der Fall, führt aber leider auch immer wieder zu sehr schwierigen Situationen. Vor allem Ehefrauen haben das Gefühl, ihre Partner so lange es irgendwie geht, selbständig in der privaten Umgebung betreuen zu müssen. Das ist ein 24/7-Job, der schon in jungen Jahren schnell zur Überforderung führt. Die Ehepartner sind selber oft schon betagt oder hochbetagt. Das bestehende Entlastungsangebot reicht hier bei Weitem nicht, um bei zunehmender Demenz des Partners für genügend Eigenerholung zu sorgen. Ganz besonders, wenn der Partner auch nachts nicht mehr schläft und unruhig in der Wohnung umherirrt. Man kommt schnell an die Leistungsgrenze, wenn zusätzlich noch der Schlaf zur Erholung fehlt. Gesellschaftliche Zwänge – so beispielsweise eheliche Pflichten oder das Urteil der Nachbarschaft – hindern oft daran, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Zwänge und die Tabuisierung von Demenz hat schlimme Konsequenzen. Auch nach so vielen Jahren Erfahrung in der Pflege läuft es mir kalt den Rücken hinunter, wenn eine Person plötzlich verzweifelt anruft, weil es einfach nicht mehr geht und eine sofortige Lösung gebraucht wird. Die Sofortlösung ist dann so kurzfristig oft nicht möglich. Darum lege ich pflegenden Angehörigen ans Herz, den eigenen Energiehaushalt gut im Auge zu behalten und Betreuungsangebote frühzeitig zu prüfen, solange noch keine Not besteht.

«Die Betroffenen leben eine andere «Normalität», was aber nicht bedeuten will, dass es nicht auch eine Art von «normal» wäre. Unser Leben auf der Demenzwohngruppe orientiert sich an diesem «alternativen Normal». Die Bewohnerinnen und Bewohner dürfen eigentlich alles, was sie wollen.»
Jasna Petrovic, Leitung Team Wohngruppe, Alp Betagtenzentrum

Wie darf man sich das Leben in einer Demenzwohngruppe vorstellen?

Petrovic: Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Art Bücherregal des Lebens. Die einzelnen Bücher sind dabei Fähigkeiten und Fertigkeiten, so z.B. Schuhe binden. Wackelt eines der Bücher im Regal, geht die Fähigkeit vorübergehend verloren; dann kommt das Buch allenfalls wieder in Position und dadurch ist die Fertigkeit wieder vorhanden. Mit zunehmender Demenz fallen dann die Bücher ganz aus dem Regal, was gleichzusetzen ist mit dem unwiederbringlichen Verlust einer Fähigkeit. Dies bedingt auch, dass sich Demenzbetroffene zunehmend nicht mehr in unsere stark normierte Welt einpassen lassen. Die Betroffenen leben eine andere «Normalität», was aber nicht bedeuten will, dass es nicht auch eine Art von «normal» wäre. Unser Leben auf der Demenzwohngruppe orientiert sich an diesem «alternativen Normal». Die Bewohnerinnen und Bewohner dürfen eigentlich alles, was sie wollen. Will heissen: Demenzbetroffene sehen keine Relevanz, ob eine Mahlzeit an einem Stück eingenommen wird oder mit Unterbruch, ob sie um 12.00 Uhr stattfindet oder zu einer anderen Zeit, ob die Haare immer gleich nach hinten gekämmt sind oder ob es unangebracht wäre um 11.00 Uhr im Pyjama zu sein. Bei uns schlafen Bewohnerinnen aus, solange sie mögen und Bewohner dürfen in der Nacht «nuusche», wenn sie sich nicht nach schlafen fühlen. Unser Ziel ist es, den Menschen mit einer demenziellen Entwicklung ausserhalb der Norm individuell eine hohe Lebensqualität zu geben. Wir vermitteln ihnen das Gefühl, dass sie «richtig» sind, so wie sie sind.

Sie sind schon seit vielen Jahren Pflege-Mitarbeiterin bei der BZE AG. Wieso haben Sie sich für die Leitung der Demenzwohngruppe entschieden?

Petrovic: Im 2004 habe ich in der Herdschwand im Nachtdienst angefangen. Nach der Mutterschaft bin ich als Pflegefachfrau HF im Nachtdienst in der Alp eingestiegen. Seit 11 Jahren bin ich nun als Teamleiterin im Alp Betagtenzentrum tätig. Auch meine Stv. Teamleiterin in der Wohngruppe, Maria Heck, ist bereits seit rund 20 Jahren bei der BZE AG.  Das Knowhow der Leitung der Demenzwohngruppe Emmenfeld und der Austausch hat uns sehr geholfen. Zudem ist das ganze Team der Wohngruppe in Weiterbildungen engagiert – von der Pflegeassistentin bis zur Leitung. Und nicht zuletzt gefällt mir die Arbeit mit Demenzbetroffenen sehr, daher war dies für mich die richtige Entscheidung.

Demenzwohngruppe Alp Betagtenzentrum

18 Betreuungsplätze für Menschen mit einer demenziellen Entwicklung.

Leitung Team Wohngruppe: Jasna Petrovic
Stv. Leitung Wohngruppe: Maria Heck

Neben Dauerbewohnerinnen und -bewohnern leben in der Wohngruppe auch Tagesgäste, die an einzelnen Tagen und Nächten regelmässig betreut werden. Ebenfalls kommen Temporärgäste für eine Mindestdauer von 14 Tagen zu uns in die «Ferien». Dies ist besonders hilfreich, wenn betreuende Angehörige einmal verschnaufen oder sich beispielsweise einer Operation unterziehen müssen.

Weitere Informationen: www.bzeag.ch/betreuung-pflege

Bei Interesse melden Sie sich bitte bei: willkommen@bzeag.ch oder 041 268 56 56

10. Oktober 2022