Es ist ruhig, das Küchenpersonal macht soeben Pause und geniesst ein paar Sonnenstrahlen vor dem Haus. Im Entree sitzen eine Bewohnerin und zwei Bewohner. Das Telefon klingelt, die Dame am Empfang gibt einer Angehörigen die Besuchszeiten durch. Zwei Bewohnerinnen kommen soeben vom Spaziergang zurück und entschwinden mit bedächtigem Schritt in Richtung Abteilung. In einer Sitzecke liest eine Bewohnerin in einer Illustrierten und aus einem offen stehenden Mitarbeiterbüro dringen Stimmen und geschäftiges Treiben. Mein Weg führt mich durch das lichtdurchflutete Atrium, die Treppe hinunter ins Terrassengeschoss Ost. Hier wohnen Frau Burch und Frau Schwendimann, die ich heute besuche, um herauszufinden, was «Lebensqualität» – das Jahresmotto der BZE AG 2021 – für die Bewohnenden der BZE AG eigentlich bedeutet.
Ferien im Alter: Familie, Zmorge und Jasse
Marlis Burch öffnet die Tür ihres Zimmers und begrüsst mich herzlich. Sie ist geradean einem Puzzle, 500-teilig, das sei gut für sie. Strategisch baut sie zuerst den Rand, dann erst ergänzt sie Stück für Stück, bis das Bild vollständig ist. Ihre «lieben Kinder», ihr ganzer Stolz, bringen ihr regelmässig Nachschub. Auch einen kleinen Kühlschrank haben sie installiert und liefern Coca-Cola, das Frau Burch gerne trinkt.
Die bald 81-Jährige wirkt eigentlich durchaus zufrieden. Sie habe schon etwas Angst vor dem Coronavirus, daher entscheidet sie sich, zurückgezogener zu sein als sonst; trotz der bereits erfolgten Impfung. Auch ihre Familie mag sie momentan nur draussen auf einen Spaziergang treffen. Trübsinnig wird sie aber nicht, denn eigentlich hat sie durchaus Programm. Nach dem Frühstück macht sie Puzzle, um 10.30 Uhr gibt es gute Musik auf dem Tessiner Kanal, anschliessend trifft sie sich mit Angel, einem Bewohner aus dem angrenzenden Haus Mattli, auf eine Zigarette vor dem Haus. Nach dem Zmittag geniesst Frau Burch ein Nickerchen.
Das Handy klingelt: Hubi, der Sohn von Frau Burch, meldet sich, um ein wenig mit seiner Mutter zu plaudern. Und dann doch die Frage an Frau Burch: «Was ist denn nun Lebensqualität für Sie?» «Es feins Zmorge; am Sunntig gits Züpfe.» Lachend gibt sie zu, in den zwei Jahren, in denen sie in der «Alp» wohnt, zehn Kilogramm zugenommen zu haben. Überhaupt hat Lebensqualität viel mit Essen zu tun. Apfelküchli mit Vanillesauce gab es gestern zum Abendessen. Und wieder lachend fügt Frau Burch an: «De Mike lueget, dass ich extra viel Sauce bechume, will er weiss, wie gern ich sie ha.» Es klingt nach vertrautem Umgang, den die Bewohnerin mit dem BZE-Mitarbeiter pflegt. Und was noch? «S’Jasse mit em Angel.» Angel ist nämlich nicht nur ihr Raucher-Gspänli, sondern auch ihr Jasspartner, mit dem sie sich unter normalen Umständen täglich zum Jass trifft. Angel hat sie hier in der «Alp» kennengelernt. Die beiden haben sich angefreundet und verbringen gerne Zeit miteinander. Kurz nachdenkend fügt die betagte Dame an: «Wüssed Sie, ich han e schwierigi Jugend gha, drum schätzis sehr do. Jetzt säge ich mir, ich han Ferie.» Beruhigt darüber, dass auch im Alter die kleinen Sachen ausschlaggebend bleiben, verlassen wir gemeinsam das Zimmer. Frau Burch trifft sich, wie abgemacht, mit Angel vor dem Haus und ich gehe ein paar Zimmer weiter zu Frau Schwendimann.
Sie muss gar nicht überlegen auf die Frage, was denn Lebensqualität ausmache. «En strukturierte Tag isch Läbensqualität», sagt sie. Und dafür sorgt sie mit täglichem Klavierspiel und Gesang, der Lektüre der Tora auf Hebräisch, ein wenig Strickerei, Meditation und dem Besuch des Aktivierungsprogramms der «Alp», soweit es stattfinden kann. Auch hier sei das Leben bunt, meint die ehemalige Sozialarbeiterin und Theologin, deren Geist aktiv ist und voller Ideen steckt.
Musik, Struktur und ein wacher Geist
Ich trete ins Zimmer ein und augenblicklich wird klar, dass wohl auch ein eigener Lebensraum die Lebensqualität mitbestimmt. Frau Schwendimann hat Sicht auf den Garten; ihr Zimmer hat sie sich wohnlich eingerichtet. «Da isch mis Büro, da mini Bibliothek, da mis Klavier», erklärt mir die Dame. Gemütlich ist es hier; getrocknete Blumen, ein grosses Holzkreuz an der Wand, daneben das Anch – das altägyptische Symbol für das Weiterleben im Jenseits. Im Büchergestell Klassiker der Philosophie, auf dem Tisch Hefte in Ledereinband und allerlei Gegenstände. Alles deutet darauf hin: Frau Schwendimann ist eine gebildete Frau von Welt, die keine Langeweile kennt und dabei «echli weniger als hunderti und echli meh als achtzgi» ist.
Zuletzt hat sie aus der Bilderausstellung – regelmässig werden in der «Alp» Ausstellungen von wechselnden Künstlern gezeigt – ein Bild erworben und dieses zur Verschönerung eines Raumes der Gemeinde Emmen gespendet. Der Erlös ging an eine Mädchenschule in Afrika. Wichtig, findet Frau Schwendimann. So etwas muss gesehen werden. Kennengelernt haben wir Frau Schwendimann in der Hausbibliothek der «Alp», wohin sie ihr Keyboard gespendet hatte, damit auch andere Bewohnende es nutzen können. «Musig isch scho an sich Läbensqualität», betont sie, was auch der Grund für die Spende war. Das Volkslied «Und im Schneegebirge» gehört zu ihren Lieblingsliedern. Wie passend die ersten Strophen scheinen: «Und in dem Schneegebirge, da fliesst ein Brünnlein kalt. Und wer daraus tut trinken, der wird jung. Ich hab daraus getrunken gar manchen frischen Trunk. Ich bin nicht alt geworden, ich bin noch immer jung.»