Wenn ein Mensch im hohen Alter in ein Betagtenzentrum übersiedelt, steht oftmals Organisatorisches im Vordergrund. Es geht um Themen wie Wohnungsauflösung, innerfamiliäre Aufgabenverteilungen, aber auch darum, die private Sphäre zu verlassen und sich flexibel auf ein sehr viel öffentlicheres Leben einzulassen. Die Ängste und Sorgen der nächsten Angehörigen geraten hierbei in den Hintergrund. Das Angehörigenkonzept der Betagtenzentren Emmen AG (BZE AG) will auch den Bedürfnissen von Angehörigen Rechnung tragen, nächste Bezugspersonen einbinden und sie durch diesen lebensverändernden Schritt begleiten.
Die Ehefrau, die jahrelang ihren Ehemann zu Hause gepflegt hat und sich mit Schuldgefühlen plagt, der Sohn, der fast seine gesamte Freizeit der hochbetagten Mutter gewidmet hat, damit sie nicht vereinsamt, und die Schwiegertochter, die sich nach der Kindererziehung der Versorgung der Schwiegereltern gewidmet hat, bleiben bei einem Heimeintritt oft im Schatten. Sie haben einen grossen Teil ihrer Zeit und ihres privaten Lebens aus Liebe, Fürsorge und Verantwortungsgefühl der jetzt in die Pflegeinstitution eintretenden Person gewidmet. Es kommt der Moment, an dem sie alleine nach Hause gehen. Die BZE AG tritt mit ihnen in Beziehung und holt sie für den neuen Lebensabschnitt mit an Bord.
Brücken schlagen: Angehörige als wichtige Ressource für alle Beteiligten
Engste Angehörige sind beim Eintritt in ein Betagtenzentrum eine besonders wichtige Ressource – und zwar nicht nur für den Eintretenden, sondern auch für das pflegende Personal. Sie sind Experten und Vertraute der neuen Bewohnerin, des neuen Bewohners. Sie sind emotionale Stützen und verfügen über wichtige Informationen zu Krankheitsgeschichte, Persönlichkeit und Lebensereignissen. Sie sind ein Bindeglied zum vorherigen Leben und schlagen die Brücke zwischen Institution und Privatleben. Alles Gründe für die BZE AG, die Angehörigen beim Eintritt gleichermassen willkommen zu heissen. Sie gehören einfach ganz natürlich zur Bewohnerin, zum Bewohner dazu. Auch wenn in der KVG-gestützten Pflegeleistung Angehörigenarbeit wenig finanzielle Bedeutung beigemessen wird und nur einzelne Minuten pro Tag als «Querschnittleistungen entlang dem Pflegeprozess» abgegolten werden, so ist es doch
Aufgabe einer personenzentrierten Pflegeeinrichtung, Angehörige wahrzunehmen und ihnen mit Wertschätzung zu begegnen. Margrit Banz, Fachstelle Qualitätssicherung Pflege und Betreuung der BZE AG und Verfasserin des Angehörigenkonzepts: «Wir müssen Angehörige wahrnehmen, uns für ihre Situation interessieren und ihnen auf Augenhöhe begegnen. Sie sollen sich von uns ernst genommen fühlen.»
Die BZE AG meint es ernst: Die Theorie «verhebet»
Damit eine positive Beziehung gedeihen kann, bedarf es nicht mehr als eines gesunden und liebevollen Umgangs. Diesen allerdings zu institutionalisieren und in konkret messbare Prozesse zu übersetzen, ist gar keine leichte Aufgabe. Da die BZE AG überzeugt ist, dass sich dies lohnt, nimmt sie die Herausforderung an. Es wurde ein Angehörigenkonzept erarbeitet, «Angehörige als wichtige Partner – gemeinsam für eine gute Lebensqualität», welches aus dem Konzept Lebensqualität abgeleitet wurde und sich seit Mai 2021 in der Implementierungsphase befindet. Bis im Sommer 2022 soll der Prozess abgeschlossen sein.
Vieles wird bereits erfolgreich umgesetzt, Schwachstellen besonders beachtet. Zudem wurde das Bewusstsein für die individuelle Situation und Rolle der Angehörigen bei einem Heimeintritt und während des Aufenthaltes gezielt bearbeitet. Der Beziehungsaufbau ist taktgebend. Das Ziel: eine partnerschaftliche Beziehung zu allen Angehörigen, basierend auf Respekt, Empathie und Vertrauen, und dies mit Beteiligung der Mitarbeitenden aller Bereiche der BZE AG. Denn jede Geste eines jeden Mitarbeitenden aus jedem Unternehmensbereich ist entscheidend für die Gesamtstimmung in diesem grossen Zuhause.
Fachbegleitung und Schulung
Dr. phil. Bettina Ugolini ist Mitarbeiterin des Zentrums für Gerontologie (ZfG) der Universität Zürich und leitet die psychologische Beratungsstelle LiA, «Leben im Alter». Sie ist eine fachliche Grösse auf dem Gebiet der Angehörigenarbeit. Unter ihrer Anleitung und Schulung wurde das Angehörigenkonzept erarbeitet und Mitarbeitende sensibilisiert. Für die diplomierten Pflegefachpersonen, die für den gesamten Pflegeprozess verantwortlich sind und somit eine tragende Rolle spielen, ist nach der bereits erfolgten Grundschulung 2022 eine vertiefende Weiterbildung zum Thema vorgesehen. Fokus: Umgang mit herausfordernden Situationen. Die Grundhaltung von Bettina Ugolini ist elegant in ihrer Einfachheit: «Verstandene Angehörige werden zu verständnisvollen Angehörigen.» Doch so gut die Theorie klingt, geht sie auch in der Praxis auf.
Kritische Stimme aus der Praxis: Susanne Imfeld berichtet
Susanne Imfeld sieht sich als berechtigt kritisch. Ihre Eltern sind seit rund einem Jahr im Alp Betagtenzentrum zu Hause. Das Jahr der Eingewöhnung war nicht immer einfach, sind die Eltern doch kaum pflegebedürftig, die Bewältigung des eigenen Haushalts führte zur Überforderung. Vor allem die Mutter hat Schwierigkeiten, möchte nicht bevormundet werden, will Selbstständigkeit und mag es nicht, wenn das Pflegepersonal aufräumt oder Wäsche versorgt. Als Angehörige möchte sich Susanne Imfeld möglichst wenig einmischen, reagiert aber auf die wiederholten Klagen der Mutter. Diese könne sich zwar schon wehren, wenn sie «aber nicht mehr zschlag chunt», dann greife sie als Angehörige ein. Sie macht sich Sorgen um das Wohlergehen ihrer Eltern und steht zwischen den Fronten. Sie realisiert dabei aber wohl, dass sich die Abteilungsleitung im Umgang mit den zeigt. «Man hat meine Eltern gern hier, das merkt man», betont sie, wenngleich auf zusätzliche Wünsche und Anregungen erst nach etwas Widerstand eingegangen wird.
Jetzt, da für die Eltern wichtige Themen und Bedürfnisse abgeholt sind, geht das Leben in ruhigere Fahrwasser über und ebnet den Weg für den Vertrauensaufbau. Susanne Imfeld schätzt die regelmässige Kommunikation, die ihr von Seiten Pflege, aber auch von Seiten Unternehmen zuteilwird, und ist der Meinung, ihre Eltern seien eigentlich gut aufgehoben im Alp Betagtenzentrum.
Das Matching stimmt: Romy Willi voller Lob
Romy Willis Mutter lebt seit vier Jahren im Emmenfeld Betagtenzentrum. Ein Jahr hatte auch ihr Vater noch im «Emmenfeld» verbracht. Davor lebte das hochbetagte Paar in einer benachbarten Alterswohnung. Der Schlaganfall des Vaters gab den Ausschlag zur Übersiedlung ins Betagtenzentrum. Die Mutter blieb in der Alterswohnung. Aufgrund zunehmender Verwirrung nahm Romy Willis Unbehagen zu. Gemeinsam mit ihrem Bruder entschied sie, die Mutter im Zimmer neben dem Vater einzuquartieren. «Es ist mir nie so schlecht gegangen wie in dieser Zeit», erinnert sie sich. Sie mussten für die Eltern Entscheidungen treffen, Gespräche führen trotz zunehmender Demenz der Mutter, die besprochene Sachverhalte sofort wieder vergessen hatte. «Ich war hin und her gerissen», konstatiert Willi. Die Liebenswürdigkeit und die Geduld, mit welcher sich die Bewohneradministration ebenso wie das Pflegepersonal im Gespräch mit den Eltern, aber auch mit ihr auseinandergesetzt haben, hätten sie sehr unterstützt. «Bis heute wird mir stets vermittelt: Wir haben immer einen Moment Zeit für Sie.» Das ist gar nicht selbstverständlich bei der grossen Arbeitslast auf der Pflegeabteilung, findet Romy Willi. «Wir stehen in Kontakt, in Beziehung. Ich habe von Anfang an gespürt, hier ziehen alle am gleichen Strick. Das ist umso toller, wenn es einem selber nicht gut geht.» Romy Willi kommt auch gerne zu Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern ins Haus, zu denen nächste Angehörige prä-corona jeweils eingeladen waren und hoffentlich wieder werden. «Man kümmert sich rührend und mit einem Wahnsinnseinsatz um die Bewohnenden und begegnet mir als Angehörige stets mit Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit.»
Foto: Stefan Weiss